Stress – Wunder der Evolution…

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Stress gehört nach Meinung der renommiertesten Gesundheitsexperten zur größten Gesundheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts. Die WHO stuft Stress ebenfalls als die Bedrohung für die Gesundheit schlechthin ein. Jeder kennt Stress, doch was steckt hinter diesem diffusen Begriff und Gefühl: „Stress“?

Eine echte Bedrohung oder ein Wunder der Evolution?

Die Antwort lautet wie so oft: „Je nachdem“ oder „die Dosis macht das Gift“.

Doch zunächst ein Zitat aus dem 11 Jahrhundert…

Stress und Entschleunigung

„Wenn Du dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für die Besinnung vorsiehst, soll ich dich dann loben? Darin lobe ich dich nicht…Ich fürchte, dass Du, eingekeilt in Deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest. Dass Du Dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst. Es ist viel klüger, Du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als dass sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht landen willst… An den Punkt, wo das Herz hart wird. Und frage nicht weiter, was damit gemeint sei; wenn du jetzt nicht erschrickst, ist dein Herz schon so weit…

Bernhard von Clairvaux (*1090 1153)

Stress

Der Begriff Stress ist wird von den meisten Menschen als Beschreibung für einen Zustand von Überforderung und ein Zuviel von Vielem benutzt. Eine Empfindung, die sich in zum Teil heftigen Gefühlen und Körperreaktionen niederschlägt. Wir fühlen uns dann „gestresst“. In der Tat ist diese – bei näherer Betrachtung sehr diffuse Empfindung genau das Ergebnis von Stressmechanismen und Stressreaktionen im Organismus des Menschen und von Tieren.

Wenn wir sagen, wir seien gestresst, sind wir uns oft nicht der komplexen Vorgänge in unserem Organismus bewusst, die dazu führen, dass wir uns gestresst fühlen. Das Gefühl, gestresst zu sein, entpuppt sich bei näherem Hinschauen nicht als ein einziges spezifisches Gefühl, sondern als eine Mischung aus vielen verschiedenen Gefühlen. Ein Grundgefühl steht jedoch bei den meisten Stressbelastungen am Anfang und begleitet die Stressempfindung:Die Angst. Die Angst, mit einer real existierenden oder angenommenen Bedrohung nicht „fertig“ zu werden.

 

 

 

Was stresst uns und warum empfinden wir Stress?

Stress, oder besser gesagt der Stressmechanismus in einem Organismus, ist ein im Laufe der Evolution entstandener komplexer Vorgang,der Überleben und Fortbestehen von Individuen und Arten durch deren Anpassung an die äußeren Lebensumstände ermöglicht. Auf den Punkt gebracht heißt das: Angst ist eine der wichtigsten Grundlagen für Veränderung und Anpassung von Leben.

Die Stressreaktion im Körper und im Geist ist unterteilbar in kontrollierbare und unkontrollierbare Stressreaktionen und kann – je nach Ausprägung oder Verlauf dieser Reaktion – einerseits für uns hilfreich sein in unserer Entwicklung oder andererseits zerstörerisch, toxischoder sogar tödlich.

Stress als Meilenstein der Evolution

Im Rahmen der Evolution – so die neuere Sicht von Neurobiologen – ist irgendwann durch die Entwicklung der Stressreaktion und der damit einhergehenden Ausschüttung von Botenstoffen (z.B. Katecholamine wie Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) in den Organismus, überhaupt erst die Möglichkeit entstanden, das Überleben von Organismen nicht nur durch feste Angriff-/ und Fluchtprogramme zu sichern, sondern vor allem auch durch Anpassung an die Umweltbedingungen. Zu Zeiten der Dinosaurier war diese Anpassung zu Lebzeiten nicht möglich.

Stress ist aus neurobiologischer Sicht einer der Mechanismen, der bei Säugetieren und dem Menschen dazu führt, dass Lernen und Anpassung zu Lebzeiten des Individuums ermöglicht wird. Der Grund: Stresshormone beeinflussen das Erleben und Gefühle, daraus folgt ein neuronaler Anpassungsmechnismus: Im Idealfall die Bewältigung durch Lernen und Anpassung.

Stressdefinition

Obwohl noch immer keine allgemein anerkannte Stressdefinition in der Wissenschaft existiert, kann man sagen: Stress ist die Empfindung und Reaktion eines Organismus auf Reize und Einflüsse, die die momentanen Möglichkeiten und Ressourcen eines Organismus übersteigen und ihn damit unmittelbar oder mittelbar bedrohen.

Stressoren

Als Stressoren werden die Reize oder Einflüsse bezeichnet, die Stressreaktionen auslösen. Hier einige Beispiele für Stressoren:

  • Lärm, Hitze, Kälte, Enge
  • Über-/Unterforderungen, Prüfungen
  • Konkurrenzdruck, Isolation, Konflikte, Trennung
  • Hunger, Schmerzen, Verletzungen
  • alltägliche Belastungen
  • Zeitdruck
  • wechselnde Anforderungen
  • Kontrollverlust
  • Veränderung
  • Gedanken

Ob eine Stressor eine Stressreaktion auslöst hängt von folgenden Faktoren ab:

  • Grad der Bekanntheit/Erfahrung
  • Kontrollierbarkeit
  • Vorhersehbarkeit
  • Innere Haltung und Bewertung

 

stressbedingtes Verhalten

  • hastiges Reden und Essen
  • Sucht-/Betäubung (Alkohol, Drogen, Nikotin, Essen, übersteigerter Genuss)
  • sozialer Rückzug
  • Steigerung von Konflikten (agressives Verhalten, Gereiztheit)
  • Stereotype Handlungen
  • reduzierte Selbstdisziplin
  • reduziertes Zeit-/Arbeitsmanagement (mangelnde Planung, Multitasking)

 

Stressreaktionen sind höchst individuell

Was ein Individuum als Stress empfindet von vielen individuellen Faktoren abhängig und somit völlig verschieden von Mensch zu Mensch. Was der eine als unüberwindbare Bedrohung empfindet und sich damit einhergehend ohnmächtig fühlt, kann für einen anderen bereits als eine Herausforderung empfunden werden, bei der sogar Lust oder Neugierde entsteht. Auch hierbei ist im Sinne des fürsorglichen Umgangs mit sich selbst wichtig zu berücksichtigen, dass das eine weder schlecht noch das andere gut ist, sondern es eben so ist, wie es ist und von es hängt von vielen persönlichen Faktoren ab.

Letztlich kann man sich bei der Betrachtung seiner eigenen Stresssempfindung immer gewiss sein, dass man selbst in vielen anderen Situationen eher der „Coole“ bleibt und auf erworbene Ressourcen zurückgreift, während andere wiederum mit der gleichen Situation maßlos überfordert sind.

Die kontrollierbare Stressreaktion

Die kontrollierbare Stressreaktion erleben wir, wenn die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen (z.B. soziales Umfeld, Erfahrungen, Strategien, Ideen) ausreichen, um eine reale oder erdachte Bedrohung des Organismus „in den Griff“ zu bekommen. Eine Situation in der wir uns befinden wird wahrgenommen, im Inneren repräsentiert in Sekundenbruchteilen mit Erfahrungen und Mustern abgeglichen. Wenn wir die Situation als bedrohlich einstufen, wird Körper wird mit Stresshormonen (z.B. Andrenalin) überflutet, die Atemfrequenz erhöht sich, der Puls schnellt in die Höhe, die Muskulatur wird durchblutet, die Alarmglocken läuten. Der Organismus ist bereit, zu reagieren. Wir reagieren affektiv (spontan oder unreflektiert) oder reflektiert und abgewogen. Wenn wir rasch wieder das Gefühl haben, „Herr der Lage“ zu sein, entspannt sich der ganze Mechanismus im Körper oder kehrt sich um. Wir entspannen uns. Der abgelaufene Mechanismus bleibt ohne langfristige Folgen für den Körper, außer dass die „Überwindung“ des Stressors (Stressauslösers) vielleicht sogar ein Gefühl von Stärke in uns selbst hinterlässt. Auf der Ebene des Gehirns hinterlassen diese Stressituationen sogar festere Bahnen im neuronalen Netz und wir können Routinen entwickeln

Die unkontrollierbare Stressreaktion

Die unkontrollierbare Stressreaktion erleben wir, wenn die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen (z.B. soziales Umfeld, Erfahrungen, Strategien, Ideen) nicht ausreichen, um eine reale oder angenommene Bedrohung des Organismus zu bewältigen. Neben den kurzfristigen Stressempfindungen wird die Alarmstufe im Körper dauerhaft auf „ROT“ gesetzt.

Damit einhergehend werden andere, weitreichendere Hormone ausgeschüttet und auch die physiologischen Folgen für Gehirn, Organe, Zellen und unser Empfinden sind andere.Unser Selbstvertrauen schwindet möglicherweise, wir fühlen uns z.B. ausgeliefert, ohnmächtig, müde und schwach. Bei der unkontrollierbaren Stressreaktion liegt die Ursache nicht nur im einzelnen Stressor selbst sondern wird auch durch die Menge und Haufigkeit der auftretenden Stressoren bestimmt. Wenn wir häufig und mit vielen Stressoren „konfrontiert“ werden, dass keine wirkliche Entspannung mehr einsetzen kann, befinden wir uns in einer scheinbar nicht anzuhaltenden Spirale. Entspannungsgefühl Fehlanzeige.

 

Der Körper bleibt in Alarmbereitschaft, unser Denken wird eng, wir konnzentrieren uns zunehmend nur noch auf negative Dinge (selektivere Wahrnehmung von Stressoren) und im Organismus macht die Dosis eines anderen Hormons das Gift: Das Cortisol.

Die Wissenschaft spricht dann von Hypercortisolysmus, der dazu führen kann, dass die Verdaungsfunktion langfristig beeinträchtigt wird, Bluthochdruck und Gefäßerkrankungen begünstigt werden und unser Sexualtrieb auf ein Minumum absinkt. Dies sind nur einige der Folgen für den Körper.

Stressfolgen im Organismus

 

Bereich akute (kontrollierbare) Stressreaktion langfristige (unkontrollierbare) Stressreaktion
Herz-/Kreislaufsystem Puls steigtBlutdruck steigt Blutdruck steigtHerzrhythmusstörungen
Lunge Atemfrequenz steigt keine chronischen Folgen
Bewegungsapparat erhöhte Muskelspannung Verspannungen, Kopfschmerzen
Magen-Darm-Trakt reduzierte Darmtätigkeit Blähungen, Flatulenz, Verstopfung
Genitaltrakt reduzierte Tätigkeit Impotenz
Gehirn fokussierte Wahrnehmung Stimmungsschwankungen, Depression, Sucht
Haut blass, schweissig z.B. serobische Dermatitis
Immunssystem Stärkung Schwächung

 

 

Chronischer Stress – nur negative Folgen?

Aus Sicht der Neurowissenschaftler kann jedoch auch chronischer Stress eine positive Seite haben. Über lange Zeit gerlernte und damit im Gehirn „gebahnte Wege“ und Bewältigungsstrategien im Leben, die nun eben nicht mehr funktionieren, können aufgelöst und im wahrsten Sinne des Wortes „weggespült“ werden. Wir werden frei, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und in die Lage versetzt, neue Pfade zu betreten und dafür sind auch physiologische Veränderungen im Gehirn erforderlich, die durch die chronischen Stressfolgen ausgelöst werden.

Dennoch ist chronische Stressbelastung für den Organismus sehr belastend und im ungüstigsten Fall, bleiben nach dem vorher genannten, möglichen Neubeginn dauerhafte Schädigungen des Organismus zurück, die die Lebenzeit verkürzen kann, die uns bleibt, um die neu gewonnene Freiheit aufbauen und genießen zu können.

 

Angst vor dem Tod

„Wir haben Angst vor dem Tod,

wir haben Angst vor der Trennung,

wir haben Angst vor dem Nichts.

Wenn wir aber tief schauen, erkennen wir den unaufhörlichen Wandel der Dinge und verlieren allmählich unsere Angst.

Thich Nhat Hanh

 

Literaturempfehlungen:

Prof. Dr. Gerald Hüther – Biologie der Angst – wie aus Stress Gefühle werden

Doris Kirch – Handbuch Stressbewältigung

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